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Title
Die Gesichter der Streitenden. Erzählung, Drama und Diskurs des Dreißigjährigen Krieges, 1830 bis 1933


Author(s)
Wald, Martin C.
Series
Formen der Erinnerung 34
Published
Göttingen 2008: V&R unipress
Extent
603 S.
Price
€ 72,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Markus Meumann, Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Wer sich eingehender mit der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges befasst, wird bald gewahr, dass die ältere Forschungsliteratur nicht frei von konfessionellen Sympathien und Parteinahmen ist und, um es etwas zugespitzt zu formulieren, die Schlachten des Dreißigjährigen Krieges gleichsam auf dem Feld der Historiographie noch einmal geschlagen werden. Dies ist jedoch nicht etwa auf die ungebrochene Fortsetzung der konfessionellen Auseinandersetzungen des 17. Jahrhunderts zurückzuführen; vielmehr handelt es sich um ein Ergebnis der so genannten „zweiten Konfessionalisierung“ des 19. Jahrhunderts (ein Begriff, dem der Autor des zu besprechenden Werkes allerdings eher skeptisch gegenübersteht, siehe S. 34). Es ist daher sicher kein Zufall, sondern Ausdruck der Persistenz konfessioneller Prägungen in der Geschichtswissenschaft der alten Bundesrepublik, dass sich diese Muster in der westdeutschen Historiographie, wenn auch in abgeschwächter Form, bis in die 1980er-Jahre hinein beobachten lassen, um dann zumindest aus der seriösen Forschung weitgehend zu verschwinden.

Der Frage, wie diese Deutungs- und Darstellungsmodi entstanden sind – oder vielleicht besser: wie sie gemacht wurden –, geht Martin C. Wald in seiner bei Wolfgang Hardtwig an der Humboldt-Universität Berlin entstandenen Dissertation nach. Er beschreitet dabei methodisch einen eher ungewöhnlichen, dafür aber zweifellos originellen Weg, indem er sich nicht dem historisch-politischen Diskurs oder den historiographischen Hauptwerken etwa Gustav Droysens oder Onno Klopps zuwendet (auch wenn diese in der Arbeit durchaus eine Rolle spielen), wie man es von einem Historiker wohl am ehesten erwarten würde, sondern den „historisch-literarischen Diskurs“ untersucht, den er als komplementär dazu begreift. Als Ausgangsmaterial dienen ihm dabei insgesamt 186 populäre Darstellungen des Dreißigjährigen Krieges – 49 Dramen und 137 epische Formen –, die in den rund hundert Jahren zwischen 1830/32 (Gedenkfeiern zum 200. Todestag Gustav Adolfs) und 1933/34 (Ende des Konfessionalismus durch die nationalsozialistische Herrschaft) entstanden.

Seine Wahl begründet Wald damit, dass sich die „Gesichter der Streitenden“ – der Obertitel der Arbeit, der eine Formulierung Bernhard Erdmannsdörfers aufgreift, lässt sich durchaus doppeldeutig gleichermaßen auf die „historischen“ Kontrahenten des 17. Jahrhunderts wie auf die Diskursgegner des 19. Jahrhunderts beziehen – besonders in „ästhetisch gestalteten und emotional ansprechenden Texten“ (S. 23) vor allem über den so genannten „Schwedischen Krieg“ (den Wald etwas abweichend von der historiographischen Konvention auf die Jahre 1629 bis 1635 ansetzt) fänden. Damit verbindet sich die Grundannahme, dass „Literarizität […] innerhalb einer diskursiv geregelten Geschichtskultur der funktionale Eigenwert zu[kam], historische Deutungshaushalte zu emotionalisieren und zu ästhetisieren. Der historisch-literarische Diskurs ergänzte und stärkte die Rationalität und Autorität des historisch-politischen Diskurses, trug seine Vorstellungs- und Bildwelten in jenen hinein, wie seine Strukturen und Konstellationen umgekehrt von jenem reguliert und modifiziert wurden.“ (S. 20)

Die Untersuchung dieser Texte soll daher drei Deutungskonzepte miteinander verschränken und gemeinsam in den Blick nehmen, „die im Deutschland des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts besonders machtvoll waren“ (S. 19): Konfession, Geschichtlichkeit, die zwischen 1850 und 1900 ihren Höhepunkt als Wissens- und Deutungssystem erreichte, und Literatur. Auch die Analysemethoden positionieren sich daher zwischen literatur- und geschichtswissenschaftlicher Methodik und kombinieren Erzählforschung, Dramenanalyse und Diskursgeschichte, was eine Entsprechung in drei verräumlichten Analysekategorien findet: dem „Erzählraum“, dem „Bühnenraum“ und schließlich dem „Diskursraum“. Die entsprechenden Ausführungen sind methodisch anregend und insgesamt auch überzeugend, sie kommen allerdings in ihren sich wiederholenden Setzungen und Definitionen etwas ermüdend daher und erscheinen dem Rezensenten hinsichtlich ihrer recht scharfen Unterscheidungen – beispielsweise zwischen „sinnlich, ästhetisch und emotional“ verfahrenden Konfigurationen einerseits und „intellektuell, epistemisch und rationell“ verfahrenden Diskursen andererseits (S. 32) – zum Teil auch überzogen schematisch – warum sollten Diskurse nicht auch nach ästhetischen Regeln funktionieren?

Die empirische Textanalyse gruppiert sich sodann in drei Kapiteln, die entlang der eben geschilderten Analysekategorien in einen „konfigurativen“ und einen „diskursiven“ Teil gegliedert sind, um besonders affektive und umstrittene Ereignisse (Wald spricht von „Ereignisbildern“) bzw. Themenkonstellationen wie die „Zerstörung Magdeburgs“, „Hexenwahn und Hexenprozess“ sowie „Gustav Adolf und Tilly“ als den antagonistischen Führungsfiguren der beiden konfessionellen Lager (den Wallensteinkomplex hat der Autor dagegen aus nachvollziehbaren Gründen beiseite gelassen). Am Beispiel der jeweiligen konfessionellen Gedenkfeiern für die beiden Feldherren und der dramatisch angelegten dazugehörigen ‚Erinnerungskulturen‘ wird die radikale Prämisse der Arbeit, dass ‚Erinnerungskulturen‘ und ‚Geschichtsbilder‘ nichts mit Erinnerung im landläufigen Sinne, das heißt an konkrete historische Ereignisse, zu tun haben, sondern dass es sich um die „Organisation von Weltwissen im historischen Modus“ (S. 56f.) handelt, besonders anschaulich belegt.

Auch die Ausführungen über die bereits als gut erforscht gelten könnende Zerstörung Magdeburgs, die die populäre wie die geschichtswissenschaftliche Literatur seit jeher beschäftigt hat und die vor allem im Umfeld des Gedenkjahres 1998 wiederholt beleuchtet wurde, zeigen die Stärken der Arbeit und des gewählten Zugangs, der sich nicht darauf beschränkt, ein weiteres Mal hinlänglich bekannte zeitgenössische und spätere Deutungsmuster wie das der „Protestantischen Jungfrau“ herauszupräparieren, sondern vor allem die Akteure und Medien der Geschichtsvermittlung – und damit die Erzeugung dieser Deutungsmuster – in den Blick nimmt. Die Einbeziehung der Hexenverfolgungen in eine Arbeit zu den Geschichtsbildern vom Dreißigjährigen Krieg überrascht dagegen auf den ersten Blick, wird jedoch dadurch gerechtfertigt, dass der Autor zeigen kann, dass die diskursive Verhandlung der Hexenprozesse nicht nur für sich besonders geeignet ist, konfessionelle Betrachtungsweisen von Geschichte offen zu legen, sondern ähnlichen Mechanismen folgte wie diejenige des Dreißigjährigen Krieges und sich mit dieser auch inhaltlich überschnitt.

Diese exemplarischen Analysen werden ihrerseits von drei Kapiteln umrahmt, die versuchen, den chronologischen Verlauf in der Entwicklung von Geschichtsbildern als Deutungsmuster aufzuzeigen und Wendepunkte zu markieren. Unter der Überschrift „Erzählte Verfeindung“ wird zunächst einführend dargelegt, „wie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts das historische Wissenssystem als konfessionalisierte Matrix auf das religiöse und literarische Wissenssystem niedersenkte“ (S. 26) und dabei das Erzählmuster vom ‚verlorenen Sohn‘ durch das der ‚feindlichen Brüder‘ abgelöst wurde. Das an die exemplarischen Untersuchungen anschließende Kapitel „Erzählte Integration“ beschreibt sodann die – nach der Reichsgründung einsetzende, sich zeitlich aber zum Teil mit der „Verfeindung“ auch überlagernde – Gegenbewegung, in der konfessionelle Deutungen langsam hinter nationale zurücktreten und sich aus zwei antagonistischen Geschichtsbildern ein gemeinsames, ‚deutsches‘ zu formen beginnt; eine wichtige Rolle spielten hier die Arbeiten Gustav Freytags sowie die Rezeption von Grimmelshausens „Simplicissimus“. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts schließlich verlor das Historische generell seine zuvor so übermächtig erscheinende Deutungs- und Erklärungsmacht, wobei hier ein Ausblick auf die nationalsozialistischen Instrumentalisierungen von Geschichte vielleicht interessant gewesen wäre.

Insgesamt handelt es sich um eine methodisch wie auch empirisch äußerst anspruchsvolle, in ihrem in jeglicher Hinsicht umfassenden Anspruch gelegentlich fast schon monumentale Studie, die ohne jeden Zweifel in erster Linie einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts darstellt, aber auch für den vorrangig an der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Interessierten viele erhellende Einsichten und darüber hinaus manch interessanten Fund bereithält. Vor allem aber erscheint sie als das geeignete Instrument, sich der älteren geschichtswissenschaftlichen Literatur mit vertieftem Verständnis für deren Entstehungsbedingungen und diskursive Beschränkungen zu nähern.

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